Malen hilft, einen Zugang zu sich selbst und zu Gott zu finden. Das beobachtet Nadja Nowak bei ihrem wöchentlichen therapeutischen „FrauenMalen“ im Hoffnungshaus in Bad Liebenzell:
Die 29-jährige Somalierin Hadiya*. ist begeistert dabei, wie die anderen vier Frauen auch. Doch das war nicht immer so. Zu Beginn waren viele sehr verunsichert und gehemmt. Öfter fielen Bemerkungen wie: „Ich kann nicht malen. Das wird nichts.“ Wir vereinbarten daraufhin: Wir sprechen nicht über die Bilder, weder über unsere noch über die der Nachbarin. Wir kommentieren nichts. Auch ich als Leiterin halte mich daran. Alles ist in Ordnung, was aus dem Pinsel fließt. Es wird auch kein Thema vorgegeben. Jede Frau entscheidet selbst, was sie malen möchte. Intuitiv zu malen bedeutet, aus sich selbst heraus etwas zu schaffen. Das eigene kreative Potenzial hervorzuholen und zu nutzen.
Die fünf Teilnehmerinnen werden aufmerksam auf ihren Zuruf hin bedient und erhalten die gewünschten Farben, frisches Wasser oder einen Schwamm. Dadurch, dass niemand aufsteht und umherläuft, legt sich eine entspannte Stimmung über den Raum; die Frauen können in ein regelrechtes Flow-Erlebnis kommen. Die Bilder bleiben dabei in unserem Raum in den Mappen der Frauen, um sie vor der Bewertung Dritter zu schützen.
Einerseits waren die Frauen stolz auf ihre Bilder und waren auf Lob aus. Andererseits waren sie aber auch unsicher und schauten, was andere malen. Wenn etwas nicht so wurde, wie sie es sich gedacht hatten, hätten sie am liebsten von vorn begonnen. Heute helfen ihnen ein aufmunterndes Lächeln und der Satz: „Dir wird schon etwas einfallen“, um sie weiter zu motivieren. Inzwischen gelingt es ihnen auch spielerisch und mit großem Selbstverständnis, ein großes Blatt Papier zu bemalen. Das ist bemerkenswert, denn die meisten Frauen haben in ihrer Kindheit und Jugend nie gemalt. Das hat zur Folge, dass sie keinerlei Figuren in ihr Malen einbeziehen können. Nachdem ich den Frauen die Grundformen Kreis, Rechteck, Dreieck, Bogen, usw. gezeigt habe, fingen sie an, diese ebenfalls zu nutzen. Nachdem sie seit einem Jahr regelmäßig malen, setzten sie diese Figuren auch zusammen und es entstehen Häuser, Bäume, Blumen, usw.
Arno Stern, der Begründer des Malortes, hat in den 1960er-Jahren herausgefunden, dass die Malentwicklung weltweit bei allen gleich stattfindet, wenn sie angeregt wird. Er regte auch an, die Malentwicklung nicht durch Themenvorgabe, Lob oder Verbesserung zu stören. Genau diesem Prinzip folgen wir beim „FrauenMalen“.
Das Verständnis von Formen und ihrer Anwendung sowie die feinmotorische Herausforderung der Pinselführung bilden unter anderem die Grundlage für das Schreibenlernen. Außerdem werden durch diese Art des Malens die Deutschkenntnisse erweitert, die Konzentration gefördert und Raum gegeben, mutig sich auszuprobieren. Dabei stößt man an seine Grenzen und man lernt, flexibel zu werden, weil die Farbe zuweilen nicht das macht, was man gerne hätte. Dazu lernen die Frauen, um Hilfe zu bitten und sie anzunehmen. Außerdem kann ein Gefühl von eigener Ästhetik entwickelt werden.
Seit Kurzem habe ich damit begonnen, mit einzelnen Frauen in persönlichen Malzeiten bei ihnen zu Hause kreativ- und kunsttherapeutisch zu arbeiten. Dabei wird ihnen durch verschiedene Materialien und Methoden ermöglicht, Zugang zu ihren Gefühlen zu bekommen und auszudrücken, wofür sie oft noch nie Worte gefunden haben. Hierbei unterstütze ich einfühlsam durch Fragen zu ihrem Bild oder ihrer Plastik. Die Teilnehmerinnen und ich erleben, dass tief vergrabene Gefühle durch das Bild sichtbar werden. Durch das Bewusstwerden dieser Gefühle können sie verarbeitet werden. Das Ziel ist es, eigene Bedürfnisse, die persönlichen Werte und Ressourcen, Kraftquellen sowie das Gute und Gelingende im Alltag zu entdecken, damit der Lebensfokus nicht auf den Problemen liegt. Es ist dabei immer wieder wunderschön zu hören, dass den Frauen viele Dinge einfallen, für die sie dankbar sein können. Sie erleben sich durch das kreative Arbeiten und das Gespräch darüber als selbstwirksam, was zu steigendem Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein führt. Dadurch können die Malerinnen wiederum besser auf sich achten, bevor sie vielleicht ausbrennen oder depressiv werden.
Immer wieder erlebe ich, wie Malen hilft, sich mit dem Glauben auseinanderzusetzen.
Hier ein kurzes Beispiel: Eine Frau sagt: „Die Sonne in meinem Bild könnte Gott sein.“ Das bedeutet, ihr wird die Gegenwart Gottes bewusst. Dann stelle ich möglicherweise eine Aufgabe wie zum Beispiel „Male, wie es sich anfühlen würde, mit Gott und dir selbst im Reinen zu sein“ oder „Male, welche Fragen du an Gott hast“. Sie entdeckt in ihrem Bild ihre tiefsten Gefühle und Sehnsüchte. Die geistige und seelische Widerstandskraft wird dadurch gestärkt.
Am meisten staune ich dabei über unseren Gott, der so wunderbar kreativ und schöpferisch ist und uns als sein Abbild genauso geschaffen hat. Eine Hand, egal mit welcher Hautfarbe, mit einem Pinsel über dem Blatt; ein glückliches, entspanntes Gesicht darüber – in solchen Momenten ist das Ebenbild Gottes für mich oft am klarsten zu erkennen.
*Name wurde geändert.