Anna Marasco, Mitarbeiterin in der sozial-missionarischen Gemeindegründungsarbeit „Oase“ in Neubrandenburg, hat eine Ausbildung zur Kommunalen Konfliktmanagerin begonnen. Im Interview berichtet sie, wie es dazu kam und was sie dort für ihre Arbeit bislang gelernt hat:
Anna, wieso hast du dich entschlossen, dich zur Kommunalen Konfliktmanagerin ausbilden zu lassen?
Ich arbeite für die Oase im Arbeitskreis Nordstadt in Neubrandenburg mit. Dort sind Vertreter von sozialen Einrichtungen neben dem Quartiermanager vertreten. Ich habe mich für diese Ausbildung entschieden, weil es in der Oase leider auch immer wieder Konflikte unter und mit den Besuchern gibt. Hier hilft mir diese Schulung sehr.
Wie sieht die Ausbildung aus?
Zuerst beschäftigten wir uns damit, was unsere Identität ausmacht, wie unsere Herkunft und unser Geschlecht uns bestimmt. Und was hat das für Folgen, dass ich Gruppen angehöre und in Kreisen unterwegs bin? Dabei ging es darum zu verstehen, dass sich jeder in Kreisen bewegt, die seine Einstellungen bestimmen. So schaue ich zum Beispiel als zugezogene Schwäbin ganz anders auf Neubrandenburg als ein Einheimischer. Meine Herkunft bestimmt auch meine Sicht. Und auch andere sehen mich auf eine bestimmte Art, weil ich zum Beispiel eine Frau, Christin und Schwäbin bin. Daneben haben wir uns mit verschiedenen Konfliktanalysen beschäftigt. Es gibt unterschiedliche Instrumente, um einen Konflikt zu ergründen und zu sehen, welche Aspekte leitend sind und welche Rolle die Teilnehmer darin spielen. Es geht beispielsweise darum herauszufinden, welche Position jemand aus welchen Gründen vertritt und welches Interesse dahintersteckt. Ganz wichtig ist auch zu erkennen, welches Bedürfnis sich dahinter verbirgt. Was steckt letztlich hinter einem Konflikt? Eine Mutter zum Beispiel, die sich auf dem öffentlich zugänglichen Vorplatz unserer Einrichtung aufhält, sehnt sich nach Sicherheit und hat wenig Verständnis für Jugendliche, die sich nicht benehmen können. Sie möchte, dass ihre Kinder dort gut spielen können und sieht die Teenager oft als Störfaktor. Wir haben auch gelernt, welche Eskalationsstufen es gibt, wann hat sich ein Konflikt so weit entwickelt, dass beide Parteien nur verlieren, wann gibt es einen Gewinner und einen Verlierer und in welcher Phase kann man es noch schaffen, dass zwei Gewinner aus dem Konflikt rausgehen.
Und was hast Du für Dich persönlich gelernt?
Mir wurde bewusst, dass ich als Mitarbeiterin der Oase auch eine Rolle in jedem Konflikt einnehme und vielleicht sogar ein Teil davon bin, weil beispielsweise Eltern bestimmte Erwartungen an mich haben. Sich das bewusst zu machen und zu erkennen, welche wahren Bedürfnisse hinter einem Konflikt stecken, ist sehr hilfreich. Denn wenn ich auf diese Bedürfnisse eingehe, entspannt das Situationen sehr gut. Ich muss auch lernen, den Teenagern gut Grenzen setzen zu können. Wertvoll an der Ausbildung war, dass andere Absolventen der Ausbildung mit uns geschaut haben, welche Akteure bei Konflikten in der Oase mit dabei sind. Durch diese Ausbildung habe ich daneben wertvolle Kontakte erhalten und Ansprechpersonen gefunden. Mir ist es eine Hilfe, nun Handwerkzeug für die Analyse und Lösung von Konflikten vermittelt bekommen zu haben. Und ja, es ist klasse, dass man gleichzeitig so ein Beratungsteam mitbekommen hat.
Was hast Du am meisten von der bisherigen Ausbildung mitgenommen?
Mir ist neu bewusst geworden, dass wir alle Menschen mit Bedürfnissen sind. Viele, auch ich, haben verlernt, diese zu äußern. Wir lassen uns häufig von einer Art „Schamkultur“ leiten. Wir sagen oft nicht offen und ehrlich, was wir wollen und benötigen. Manchmal ist uns das selbst auch gar nicht so bewusst. Und wir fürchten uns vor der Reaktion anderer. Ich habe ebenso gelernt, anderen zu helfen, ihre wahren Bedürfnisse zu entdecken und sich auch zu trauen, diese auszudrücken. Jeder Konflikt hat eine Tiefdimension, ähnlich wie bei einem Baum, bei dem wir die Wurzeln nicht sehen. Wichtig ist auch, dass ich aufmerksam werde für Dynamiken, eventuelle Stigmatisierungen und Diskriminierungen.
Kannst Du so eine Ausbildung empfehlen?
Auf jeden Fall. Denn es geht auch um alltägliche Dinge: Jeder ist mit Konflikten konfrontiert. Sensibel dafür zu werden, was dahintersteckt, hilft enorm. Das muss eingeübt werden.
In dem sozial-missionarischen Projekt „Oase“ der Liebenzeller Mission bringen die Mitarbeitenden auf kreative Weise Gottes Liebe zu den rund 4.500 Bewohnerinnen und Bewohnern im Reitbahnviertel in Neubrandenburg. Bei einer Arbeitslosenquote von über zwanzig Prozent müssen viele Familien mit wenig Geld auskommen. Anna Marasco hat an der Internationalen Hochschule Liebenzell Theologie und Soziale Arbeit im internationalen Kontext studiert. Seit Januar 2020 arbeitet sie in der „Oase“ in Neubrandenburg und gehört dem Leitungskreis an.